Eine besondere Form der diffusen Alopezie stellt der Haarausfall während einer Krebstherapie dar. Bei Patienten mit einer Krebserkrankung wird in vielen Fällen eine Chemotherapie mit sogenannten Zytostatika eingesetzt. Diese Wirkstoffgruppe hat einen besonderen Einfluss auf sich schnell teilende und rasch wachsende Zellen im menschlichen Körper und kann daher in der Folge zu Haarausfall führen.
Eine Krebserkrankung entsteht durch eine Fehlsteuerung des Zellwachstums. Aus sehr unterschiedlichen, bei einigen Krebsarten bislang ungeklärten Gründen, kommt es bei Krebspatienten zu einer Entartung des natürlichen Zellzyklus. Die Mutation der Zellen sorgt für ein unnatürlich schnelles Wachstum. Die bösartigen Zellen teilen sich rascher als gesunde Zellen, zerstören das umliegende Gewebe und bilden bei einem Großteil der Krebsarten ein Karzinom, welches sich in Form von Metastasen im gesamten Körper ausbreiten kann.
Krebszellen haben die Eigenschaft der sehr schnellen Teilung. Sie vermehren sich weitaus schneller als gesunde Zellen. Die im Rahmen einer Chemotherapie eingesetzten Zytostatika haben die Eigenschaft, dieses unnatürliche Zellwachstum zu hemmen und mutierte Zellen mit voranschreitender Therapie zu zerstören.
Im menschlichen Körper ist eine Vielzahl von Zelltypen vorhanden, die sich in regelmäßigen Abständen erneuern. Die Zellen im Blut, in den Haarwurzeln, in der Haut und den Schleimhäuten zählen zu denen mit der häufigsten und schnellsten Teilung. Diese natürliche Zellteilung passiert zwar langsamer als die mutierter, krankhafter Zellen, allerdings greifen bestimmte Zytostatika genau in den Zyklus dieser gesunden Zellen ein.
Haarausfall ist deshalb eine häufige Nebenwirkung bei der Chemotherapie. Je nach Art der Zytostatika, ihrer verabreichten Dosis und auch der persönlichen Veranlagung beginnt bei den meisten Krebspatienten zeitversetzt etwa zwei bis vier Wochen nach Beginn der Krebstherapie der diffuse Haarausfall. Nach diesem Zeitraum haben sich die Zytostatika als eine Art Depot im Körper angereichert und zerstören die natürliche Zellregenation. Für das Haarwachstum bedeutet dies ein direktes Einwirken auf die Anagenphase. Die Zellen in der Haarwurzel regenerieren sich nicht weiter, das Haar fällt mitsamt der Wurzel aus. Bei manchen Patienten brechen die Haare kurz über der Wurzel ab.
Während andere Formen des diffusen Haarausfalls meist langsamer vonstattengehen und nur in den seltensten Fällen für einen kompletten Haarverlust sorgen, leiden viele Patienten während der Krebstherapie unter vollständigem Haarverlust. Je nach Wahl der Zytostatika kommt es binnen weniger Tage zur Glatzenbildung. Weil die Chemotherapie nicht nur auf die Kopfhaare einwirkt, verliert ein Großteil der Patienten auch Wimpern, Augenbrauen und die gesamte Körperbehaarung.
Der Haarausfall während einer Chemotherapie stellt für die meisten Krebspatienten eine schwere Belastung dar. Für viele Patienten ist die nun äußerlich auch für Mitmenschen sichtbare Veränderung eine zusätzliche Herausforderung neben der Krebserkrankung selbst. Tröstlich dabei ist sicherlich, dass die Haarwurzeln in der Regel nicht unwiederbringlich zerstört sind. Nach der Chemotherapie, wenn sich die Depotwirkung der Zytostatika langsam abbaut, regenerieren sich die Haarwurzeln in der Regel und beginnen eine neue Anagenphase.
Etwa drei Monate nach der letzten Sitzung der Chemotherapie ist bei einem Großteil der Patienten sehr deutlich neues Wachstum der Kopfhaare zu erkennen. Die Regeneration der Körperbehaarung erfolgt meist etwas zeitverzögert, weil der Zellzyklus dieser Haare langsamer vonstattengeht.
Sabrina Mandel